Aisha* mit ihren Kindern
10.12.2019

"Boko Haram hielt mich drei Jahre gefangen"

Aisha* war gerade mal 12 Jahre alt, als sie im Juni 2014 von Boko Haram aus ihrer Heimatstadt im Bundesstaat Borno in Nigeria entführt wurde. Sie wurde gezwungen, einen ihrer Entführer zu heiraten. Er hat sie wiederholt vergewaltigt. Mit 14 Jahren gebar sie ihr erstes Kind. Nach über drei Jahren in Gefangenschaft gelang ihr die Flucht - im dritten Monat schwanger mit ihrem zweiten Kind. 

Aisha ist jetzt 17 Jahre alt und baut ihr Leben langsam wieder auf. Plan International hilft ihr dabei und bietet ihr die dringend benötigte Beratung und psychosoziale Unterstützung. Sie besucht eine spezielle Einrichtung, in der Kinder und Jugendliche lernen, spielen und sich selbst sein können. Sie hat neue Freunde gefunden, die ähnliche Erfahrungen wie sie gemacht haben. 

Das ist Aishas Geschichte:

"Sie kamen an einem Mittwoch. Sie begannen zu schiessen. Sie haben viele Menschen getötet. Als sie zu unserem Haus kamen, wollten sie mich wegbringen, aber meine Mutter sagte nein. Sie drohten meiner Mutter, dass sie sie töten würde, wenn sie mit ihrer Forderung nicht einverstanden wäre. Meine Mutter versuchte, mich zu schützen aber sie schleppten mich weg und sperrten mich an einen Ort im Busch, den sie als Gefängnis benutzten. Wir waren etwa hundert dort drin. 

Sie zwangen mich, zu heiraten. Sie brachten mich aus dem Gefängnis in eine andere Stadt. Dort musste ich kochen und den Koran lernen. Wenn du dich weigertest, das zu tun, was sie sagten, gaben sie dir 20 Schläge mit dem Stock. Mein Mann war ein Shuwa-Araber. Er hatte eine lange Nase und lockiges Haar - wie meine Kinder. Meine Tochter ist jetzt drei Jahre alt und mein Sohn ist fast eins. Ich habe meine Tochter oben in den Bergen zur Welt gebracht. Als die Wehen kamen, half mir die zweite Frau meines Mannes, die Nabelschnur zu durchtrennen. Mein Mann war nicht einmal im Entferntesten an meiner Tochter oder an unserem Wohlbefinden interessiert. Er dachte nur an seine Arbeit und ging hinaus, um Menschen zu töten.

Eines Tages, morgens gegen 4 Uhr, als es Zeit zum Beten war, rannte ich weg. Ich war damals im dritten Monat schwanger und trug meine Tochter auf dem Rücken. Ich wusste, wenn sie uns erwischten, würden sie uns töten. Aber ich war so entschlossen, wegzukommen, dass ich das Risiko auf mich nahm. Ich hatte Glück, denn kurz nach meiner Flucht sah ich einige Soldaten auf Patrouille. Ich bat sie, mir zu helfen. Sie nahmen mich mit und brachten mich zu meinem Vater. Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn wiedersehen würde, und ich fühlte mich so glücklich, als ich ihn sah. Eine Weile später traf ich meine Mutter. Es ist schwer auszudrücken, wie erleichtert ich war.

Seit ich zurück bin, habe ich durch das beschleunigte Lernprogramm die Schule eingeholt. Ich besuche auch das Kinder- und Jugendzentrum habe dort gelernt, wie man strickt. Bald werde ich lernen, wie man näht. Ich hoffe, ich kann eines Tages mein eigenes Geschäft zu eröffnen. Hier ist alles in Ordnung, aber viele meiner Freunde werden immer noch vermisst. Ich wünschte, die Regierung würde Boko Haram verjagen, damit das Leben wieder normal wird. Ich würde mich freuen, wenn sie den Menschen helfen würden, damit sie wieder ihren Lebensunterhalt verdienen können, anstatt sich auf Almosen verlassen zu müssen. Für meine Kinder wünsche ich mir Bildung. Sie sollen die Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen. Das ist das, was mir im Moment am wichtigsten ist."

*Name geändert

Hintergrund:

Die Tschadseekrise ist eine der schwersten humanitären Notlagen der Welt. Seit ihrem Beginn im Jahr 2009 schätzen die Vereinten Nationen (UNO), dass mehr als 27.000 Menschen getötet und mehr als zwei Millionen vertrieben wurden. Jüngste Zahlen des IKRK zeigen, dass allein in Nigeria mindestens 22.000 Menschen vermisst gemeldet wurden - 60 Prozent davon sind Kinder. Es ist die höchste Anzahl von vermissten Personen, die bei der Organisation weltweit registriert sind.

Von der Krise sind vor allem Mädchen und junge Frauen betroffen, die mit erhöhten Risiken für alle Formen von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen konfrontiert sind. Plan International ist eine der führenden Kinderschutzorganisationen im Nordosten Nigerias und hilft Mädchen, ihre Familie zu finden und wieder ein Gefühl der Normalität in ihrem Leben zu erlangen.