Anfang Januar hat Rashid Javed die Geschäftsleitung von Plan International Schweiz übernommen. Er verfügt über jahrelange Erfahrung innerhalb des globalen Verbunds von Plan International und leitete Länderbüros in Asien, Afrika und Lateinamerika. Woher er seine Motivation nimmt, was Feminismus bedeutet und warum Plan ihn zum Aussenseiter machte, erzählt er im Interview.
Du arbeitest seit 18 Jahren für Plan International. Was motiviert dich noch heute täglich?
Der Sinn in meiner Arbeit. Zu wissen, dass ich zu einem besseren Leben und einer besseren Zukunft für die Kinder und Gemeinden beitrage, mit denen Plan arbeitet – das treibt mich jeden Tag an. Auch nach 18 Jahren. Ich begann 2003 bei Plan in Kanada, merkte aber schnell, dass ich dort sein wollte, wo Plan Projekte umsetzt. Kurz darauf bot sich die Gelegenheit für Einsätze bei Plans Katastrophenhilfe auf globaler Ebene in Haiti und in Pakistan, und seither hatte ich das Glück, mit Kindern und Gemeinden auf drei Kontinenten zu arbeiten. Mithelfen, dass diese Kinder, und besonders die Mädchen, gestärkt durchs Leben gehen und eine Stimme erhalten – dafür stehe ich gerne jeden Tag auf.
Du bekennst dich als Feminist. Was löst das in deinem Umfeld für Reaktionen aus?
Ich stosse oft auf fragwürdige Gesichtsausdrücke. Ich denke, das liegt am mangelnden Verständnis, was das Wort Feminismus oder Feminist(in) bedeutet. Leider wird der Begriff oft negativ wahrgenommen. Feminist zu sein bedeutet ganz einfach, dass man als Individuum an die Gleichstellung der Geschlechter glaubt und diese unterstützt. Ich finde, alle Männer sollten Feministen sein und auch den Mut haben, dies zu äussern. Nur so werden wir eine Welt sehen können, in der Männer und Frauen die gleichen Rechte, die gleiche Macht und die gleichen Privilegien haben.
Erinnerst du dich an einen bestimmten Moment, in dem du realisiert hast, dass es einen Unterschied macht, ein Mädchen oder ein Junge zu sein?
Das war in Haiti. Nach dem Erdbeben von 2010 hat Plan in einem Hilfslager ein kinderfreundliches Zentrum eingerichtet, wo Kinder in einem geschützten Rahmen spielen und lernen können. 80 Prozent der Kinder, die das Zentrum besuchten, waren Jungen. Wir gingen zu den Familien, um herauszufinden, warum die Mädchen nicht kamen. Die Eltern sagten, ihre Mädchen hätten keine Zeit fürs Spielen oder Lernen, da die meisten von ihnen im Haushalt mithelfen, Wasser holen oder auf ihre jüngeren Geschwister aufpassen mussten. Da wurde mir klar, wie sehr Mädchen sogar in ihrem eigenen Zuhause benachteiligt werden, nur, weil sie ein Mädchen sind. Ich erkannte, dass wir die Ursachen angehen müssen, die zu dieser Art von Verhaltensmustern führen.
Inwiefern hat Plan dein Privatleben beeinflusst?
Ich wurde mutiger – und zu einem wahrhaftigen Verfechter für soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Plan hat mir geholfen, meine Anliegen zu hinterfragen und zu äussern und das Gleiche von Kollegen, Freunden und Familie zu erwarten. Das hat mich bei Freunden und in sozialen Kreisen manchmal ein bisschen zum Aussenseiter gemacht (lacht). Denn ich nehme mein Engagement überall mit hin und melde mich zu Wort, wenn ich Ungleichheit oder Ungerechtigkeit sehe.
Du hast in Ländern wie Uganda, Pakistan und Haiti gearbeitet, wo Ungleichheiten viele Kinder und Jugendliche, vor allem Mädchen, daran hindern, ihren Lebenszielen zu folgen. Jetzt lebst und arbeitest du in einem der reichsten Länder der Welt. Wie gehst du damit um?
Die 15 Jahre, in denen ich in unseren Projektländern gearbeitet habe, haben mir gezeigt, wie privilegiert wir in Ländern wie Kanada, wo ich herkomme, und der Schweiz, wo ich jetzt lebe, sind. Ich habe zu oft gesehen, wie die einfachen Grundbedürfnisse wie Bildung, Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, Ernährung und Hygiene für Kinder nicht erfüllt werden. Wir «Privilegierten» können das nicht akzeptieren. Jedes Kind, egal ob es in einem abgelegenen Dorf in Uganda, Nepal oder Haiti aufwächst, muss Zugang zu den gleichen Grundrechten haben wie unsere eigenen Kinder. Ich bin dankbar für die Vorteile, die wir hier haben. Gleichzeitig denke ich, dass wir alle eine moralische und ethische Verantwortung haben, unsere Privilegien zu nutzen und Entscheidungsträger zu beeinflussen, um mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen.
Siehst du Parallelen zwischen ärmeren und reicheren Ländern?
Absolut. Ungleichheit, Rassismus, Gewalt gegen Frauen und allgemein Armut machen vor keiner geographischen Grenze halt. Das Recht von Frauen auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Obdachlosigkeit und das Fehlen einer angemessenen Krankenversicherung sind in einigen westlichen Ländern ernste Probleme und betreffen zig Millionen Menschen. Für Plan International besteht unser Fokus und die grösste Wirkung jedoch darin, die am meisten gefährdeten und benachteiligten Kinder und Jugendlichen, insbesondere Mädchen, zu erreichen. Aber in vielen unserer sogenannten «Fundraising-Länder», wie der Schweiz, haben wir auch Programme, die sich mit lokalen Problemen befassen. Dabei arbeiten wir eng mit den örtlichen Kantonen, Gemeinden und Regierungsstellen zusammen.
Wie können wir als Person und als Gesellschaft für mehr Gerechtigkeit sorgen?
Wir sollten alle Einflussmöglichkeiten nutzen, die wir haben. Dies kann sein, indem wir über Ungerechtigkeiten mit Freunden und Familie diskutieren oder indem wir versuchen, Medien, Unternehmen und Politik zu beeinflussen. Wir können unsere politische Stimme oder unsere finanziellen Mittel nutzen, unser Wissen teilen oder unsere Zeit ehrenamtlich zur Verfügung stellen. Berühmte Personen können ihre Plattform nutzen, um das Bewusstsein für Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu schärfen. Es gibt viele Wege, sich zu engagieren. Melden Sie sich bei uns, um Möglichkeiten zu besprechen.
Was sind deine Pläne für Plan in der Schweiz?
Wir werden weiterhin Bekanntheit und Vertrauen aufbauen für Plan als Organisation, die sich für die Rechte von Kindern und Jugendlichen sowie Gleichberechtigung einsetzt. Unser Ziel ist es auch, bestehende und neue strategische Partnerschaften (weiter) zu entwickeln, die Synergien, Effizienz und nachhaltige Ergebnisse für Kinder, Jugendliche und insbesondere Mädchen auf der ganzen Welt und in der Schweiz schaffen.