Alesiha, 9, spielt mit Lernspielzeug im Spielbereich der Patchwork Association. Photo: Plan International
19.02.2025 - von Plan International

«Was wir alle brauchen, ist Frieden, ein Dach über dem Kopf und Sicherheit für unsere Kinder.»

Geboren in einer kleinen Stadt in der Ukraine, führte Alesias Familie ein friedliches und erfülltes Leben. Mit ihrer Mutter Nataliia an ihrer Seite wuchs Alesia in einem Zuhause auf, in dem Liebe und familiäre Unterstützung eine zentrale Rolle für ihr Wohlbefinden spielten. Nataliia beschreibt das Leben, das sie vor dem Ausbruch des Krieges führten, als «normal» - ein Leben, das von den alltäglichen Freuden der Familie, der Arbeit und der Schule erfüllt war. 

Ihr Zuhause in Tokmak war ein Ort des Komforts und der Routine. «Die Kinder gingen in den Kindergarten und in die Schule. Wir besuchten oft meine Eltern, die in einem nahe gelegenen Dorf lebten. Es war ein normales und gutes Leben. Wir genossen unser Leben in der Ukraine und hatten nicht vor, es zu verlassen», erinnert sich Nataliia. Trotz der frühen Autismus-Diagnose von Alesia war das Leben der Familie überschaubar. «Die einzige Herausforderung war, dass wir für Alesias regelmässige Behandlung nach Kiew reisen mussten, nachdem bei ihr Autismus diagnostiziert worden war», erzählt Nataliia.

Doch die Eskalation des Krieges in der Ukraine veränderte ihr Leben für immer. Nataliia und ihre Kinder wurden gezwungen, aus der Region Saporischschja zu fliehen und sich in Polen in Sicherheit zu bringen, und machten sich auf den Weg nach Krakau. Sie flohen nur mit den nötigsten Habseligkeiten. In Polen angekommen, waren die Herausforderungen immens. «In Polen bin ich eine alleinerziehende Flüchtlingsmutter. Es war schwer. Wir konnten keine Wohnung finden. Wegen der besonderen Bedürfnisse meiner Tochter konnten wir nicht lange in überfüllten Unterbringungszentren bleiben», erinnert sie sich. 

Eine Partnerorganisation für Familien mit besonderen Bedürfnissen

Doch trotz der Schwierigkeiten hat Alesias Mutter nie aufgegeben. Sie suchte nach Lösungen und Organisationen, um das Leben in Polen für ihre Kinder zu verbessern und dafür zu sorgen, dass sie weiter lernen und wachsen können. Eine dieser Organisationen ist die Patchwork Association in Krakau, eine Partnerorganisation von Plan International. Patchwork bietet Flüchtlingsfamilien mit Kindern mit Behinderung und Kindern mit besonderen Bildungsbedürfnissen wichtige Unterstützung. «Patchwork ist eine von Frauen, Migrant:innen und Schutzsuchenden geführte Organisation. Die Gründerinnen sind fünf Mütter von Kindern mit Behinderungen mit Migrationserfahrung und eine Sonderschullehrerin. Wir laden unsere Mitarbeiter:innen und Menschen mit Behinderungen ein, sich an unserer strategischen Planung zu beteiligen, damit wir immer ihre Perspektive sehen und verstehen», erklärt Maria Buchanowska, Geschäftsführerin von Patchwork.


Nataliia spielt mit ihren beiden Kindern im Patchwork-Verein. Photo: Plan International

Nataliia fand Patchwork über die sozialen Medien. «Patchwork versorgte uns mit Informationen und der Unterstützung, die wir für Alesia benötigten. Patchwork half uns auch, Alesias Behindertenstatus nach polnischem Recht zu bestätigen und sie in der Schule anzumelden. Patchwork hat uns eine Familienhelferin zur Seite gestellt», erklärt sie. Alesia besucht jetzt eine Sonderschule in Krakau, wo man sich um sie kümmert und ihr Verständnis entgegenbringt. «Wir haben von der moralischen Unterstützung durch Patchwork profitiert. Es war nicht mehr so beängstigend. Wir wussten, an wen wir uns wenden mussten, um Hilfe zu bekommen, und wir lernten, wie die Dinge hier in Polen funktionieren», sagt Nataliia.

Maria Buchanowska erklärt, dass Familien wie Alesia im polnischen Bildungssystem vor vielen Herausforderungen stehen. «Die Aufnahmekapazitäten der Sonderschulen reichen in der Regel nicht aus, um den Bedürfnissen der Stadtbewohner:innen gerecht zu werden. In Krakau mit rund 800.000 Einwohner:innen gibt es nicht genügend Plätze in Sonderschulen und die Warteliste ist lang. Eltern von Kindern mit Behinderungen und/oder besonderen Bedürfnissen können ihr Kind nicht wirklich an der nächstgelegenen Schule anmelden, wie es die meisten Familien tun», erklärt sie. Patchwork half den Eltern, sich in diesem komplexen Prozess zurechtzufinden, und sorgte dafür, dass die Familien nicht auf sich allein gestellt waren. Das Verfahren zur Erlangung einer staatlichen Bescheinigung über eine Behinderung ist kompliziert, und Patchwork unterstützte Flüchtlingsfamilien bei diesem schwierigen Prozess. 

Zusätzliche Hürden für Schutzsuchende

Die Bescheinigung ist unerlässlich, um Zugang zu Schulen oder Kindergärten zu erhalten, die auf die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen zugeschnitten sind. Um es zu erhalten, müssen die Familien in kurzer Zeit mehrere Ärzte aufsuchen, doch lange Wartelisten erschweren dies. Ausserdem müssen alle medizinischen Dokumente, die in der Ukraine ausgestellt werden, übersetzt werden, was oft mit hohen Kosten verbunden ist. Patchwork half bei der Deckung dieser Übersetzungskosten und sorgte dafür, dass die Familien die Unterstützung erhielten, die sie während dieses Prozesses benötigten.

Alesiha, 9, und ihre Mutter Nataliia. Photo: Plan International

Flüchtlingsfamilien, insbesondere solche mit Kindern mit Behinderung, haben oft Schwierigkeiten, sich in Polen im medizinischen und schulischen Bereich zurechtzufinden. Maria erklärt: «Es bedarf einer landesweiten Anstrengung, um sich für Änderungen im polnischen Bildungssystem einzusetzen. Wir müssen die Schulen dazu ermutigen, Kinder stärker einzubeziehen.» Um diese Herausforderungen anzugehen, organisierte Patchwork in Zusammenarbeit mit Plan International im Oktober 2024 in Krakau eine Diskussionsrunde. Die Veranstaltung brachte wichtige Interessenvertreter:innen zusammen, darunter Vertreter:innen von örtlichen Sonderschulen, städtischen Behörden, lokalen und internationalen Organisationen sowie Flüchtlingsmütter von Kindern mit Behinderungen, und förderte einen konstruktiven Dialog darüber, wie das System für alle Kinder verbessert werden kann. 

Die Unterstützung von Patchwork geht über Bildung hinaus. Es ist ein ganzheitlicher Ansatz, der auf die sozialen, emotionalen und praktischen Bedürfnisse von Flüchtlingsfamilien eingeht. Für Alesia ermöglichte Patchwork nicht nur den Zugang zu einer spezialisierten Schule, sondern half auch dabei, einen Psychologen und einen Sprachtherapeuten zu finden, um ihre Entwicklung weiter zu fördern. Sie bot Nataliia auch psychosoziale Unterstützung und half ihr, die Herausforderungen des Lebens als alleinerziehende Flüchtlingsmutter zu bewältigen. Indem sie das Patchwork-Zentrum regelmässig besuchte, ihre Herausforderungen mit den Familienhelfer:innen von Patchwork teilte und ein starkes Unterstützungssystem innerhalb des Zentrums vorfand, erfuhr sie eine erhebliche Erleichterung und gewann ihr Selbstvertrauen zurück.

Freude an kleinen Dingen trotz grosser Ungewissheit

Trotz der schwierigen Erfahrungen, die Alesia gemacht hat - die Flucht aus der Ukraine, die Strapazen der Vertreibung und die Anpassung an ein neues Land - hat sie eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit bewiesen. Obwohl ihre Mutter durch Ungewissheit und persönliche gesundheitliche Probleme belastet ist, setzt sie sich unbeirrt für Alesias Wohlergehen ein. Alesia, die einst das Meer liebte und die Gartenarbeit im Haus ihrer Grossmutter in der Ukraine genoss, findet weiterhin Freude an den kleinen Dingen. Ihre Stärke liegt nicht nur in der Überwindung von Hindernissen, sondern auch darin, Freude an neuen Erfahrungen zu finden. Wann immer sie das Patchwork-Zentrum besucht, geniesst sie es, Zeit mit den Patchwork-Betreuer:innen und Fachleuten zu verbringen und eine Reihe von Lernspielzeugen zu erkunden. Dies gibt ihr die Möglichkeit, zu spielen, sich auszudrücken und sich sicher zu fühlen.

Das Leben der Familie in Polen ist von Ungewissheit geprägt. Nataliia steht vor schwierigen Fragen über die Unterkunft, die Zukunft ihrer Familie und ihre eigene Gesundheit. Aber Alesia und Nataliia sind nicht ohne Hoffnung. Die Unterstützung, die sie von Patchwork erhalten haben, und das unzerstörbare Band zwischen Mutter und Tochter geben ihnen die Kraft, weiterzumachen. Nataliias Worte spiegeln ihre unerschütterliche Entschlossenheit wider: «Was wir alle brauchen, ist Frieden, ein Dach über dem Kopf und Sicherheit für unsere Kinder.»

Während der Krieg in der Ukraine im Februar dieses Jahres in sein viertes Jahr geht, sieht sich Nataliia mit der bitteren Realität konfrontiert, dass sie nicht weiss, ob sie jemals sicher in die Ukraine zurückkehren kann. Für Frauen wie sie hat der Krieg schwerwiegende geschlechtsspezifische Auswirkungen, denn sie tragen die erdrückende Last, die Einheit und Stabilität ihrer Familien aufrechtzuerhalten. Ihre Resilienz und Stärke werden oft übersehen, aber sie tragen die Last, nicht nur ihr eigenes Überleben, sondern auch das ihrer Kinder zu sichern.